Kanu-Wildwasserfahren mit der Schulklassepdf

(aus Heft 1/2013)


Ein Beitrag von Dr. Axel Bauer und Sigrun Schulte – Auszüge aus dem Handbuch „Kanusport“ Teil 2


Wildwasser

Vertrautwerden mit dem Material
Das erste Aufeinandertreffen der zukünftigen Kanuten mit den Booten wird beim Auf- oder Abladen der Boote vom Hänger sein. Man sollte sich Zeit lassen, die Handgriffe ausführlich erklären, so werden in den kommenden Tagen viele hilfreiche Hände beim Laden zufassen, und die gewonnene Zeit kann fürs Paddeln genutzt werden. Vorteilhaft ist es, eine Person zu bestimmen, die vor jeder Abfahrt für das Überprüfen der festgebundenen Boote zuständig ist.

Die erste Aufgabe der Wildwassereinsteiger besteht darin, ihr Boot für den Einsatz vorzubereiten bzw. zu kontrollieren: Die Auftriebskörper (Luftsäcke in den Hohlräumen des Bootes) vorne und hinten müssen auf Unversehrtheit überprüft werden. Fehlen sie oder entweicht Luft aus ihnen, wird das Boot bei einer Kenterung vollaufen und absinken. Eine Bergung ist dann nur schwer möglich. In ein modernes Wildwasserboot passen ca. 250 Liter Wasser, das sind an Land 250 kg! Allein daraus ergeben sich die Probleme bei der Handhabung an Land. Aber auch im Wasser ist ein gekentertes Boot ohne Auftriebskörper praktisch nicht manövrierfähig.
Befinden sich die Boote in funktionsfähigem Zustand, wird den Einsteigern gezeigt, wie man im Boot sitzt bzw. wie eng man sich im Boot verklemmen und deshalb auch die Prallplatte einstellen muss. Die Sitzposition im Boot muss aufrecht sein mit – so weit wie es unter den Bedingungen im Boot möglich ist – nach vorn gekipptem Becken. Knie und Oberschenkel werden seitwärts nach oben außen unter den Schenkelstützen fixiert.
Zur vollständigen Ausrüstung gehören dann eine passende Spritzdecke, ein nicht zu schweres Paddel, Neoprenanzug und neben Badekleidung, ein alter Wollpulli zur besseren Kälteisolation darunter, Helm und Schwimmweste und alte eher höhere Sportschuhe mit Wollsocken an den Füßen.

Wildwasser Was ist Wildwasserfahren?
Bei der Besichtigung des Flussabschnittes bekommen Schüler den ersten Eindruck von den typischen Merkmalen einer Wildwasserstrecke.
Den Anfängern soll bewusst werden, dass Wildwasserfahren das „kontrollierte“ Abfahren eines Flusses unter Ausnutzung seiner Strömungsformationen ist – das Agieren mit diesen und nicht das Kämpfen gegen sie. Zonen ruhigen Wassers (Kehrwasser) und unterschiedlich fließende Strömungen sollen als Grundlage für die zukünftige Handlungsfähigkeit der angehenden Wildwasserfahrer erkannt werden.
Kehrwasser entstehen hinter Hindernissen im Strömungsverlauf, befinden sich also hinter Steinen oder hervorspringenden Uferteilen und in jeder Innenkurve eines Flussabschnittes. Ohne solche Hindernisse und damit ohne Kehrwasser wäre ein Wildfluss unfahrbar, weil er keine Ruhe- und damit Orientierungszonen für den Wildwasserfahrer hätte.

Der Einstieg ins Wildwasser
Das methodische Grundprinzip „vom Bekannten zum Unbekannten“ bedeutet für das Wildwasserfahren, mit dem Schwimmen im Wildwasser zu beginnen. Anfänger machen damit ihre ersten Erfahrungen im neuen Medium Wildwasser mit einer Fortbewegungsart, die sie bereits beherrschen. Es wird ihnen die Unsicherheit davor genommen, was im Falle des Misslingens im Boot passiert, sie verlieren die Angst vor dem Wildwasser, – Angst als Ergebnis von Handlungsunsicherheit – sie sind auf die Kentersituation vorbereitet.
Vorgeschaltete Aufwärmspiele machen die Schüler richtig „heiß“, sich anschließend ins kühle Nass zu stürzen.

Um die Verletzungsgefahr beim Schwimmen im Wildwasser so gering wie möglich zu halten, sollte man lernen, auf dem Rücken liegend mit den Füßen voraus, Augen auf eventuelle Gefahren gerichtet und mit der Möglichkeit, die Beine als „Stoßdämpfer“ gegen unliebsame Felsen nutzend an der Wasseroberfläche zu schwimmen.
Anschließend können Kehrwasser gezielt angeschwommen werden, das bedeutet, zum Anschwimmen die Rückenlage zu verlassen und durch kräftiges Schwimmen aus der Strömung ins Kehrwasser zu gelangen. Kraulschwimmen – Kopf aus dem Wasser, um sehen zu können – hat den Vorteil, dass sich vor allem die Beine näher an der Wasseroberfläche befinden und damit besser vor Steinberührungen geschützt sind.

Da der Schwimmer bei einer Kenterung sein Material zusammenhalten muß (Paddel und Boot), ist es unabdingbar, das Schwimmen mit Boot, später mit Boot und Paddel zu üben. Der Lernende faßt mit einer Hand zusammen mit dem Paddel das Boot am Griff an Bug oder Heck und kann dann mit den Beinen und der freien Hand ans Ufer schwimmen.
Niemals darf das Boot im Bereich der Sitzlucke gehalten werden, weil es dann sowohl beim Herausziehen durch einen Helfer als auch beim Schwimmen quer in der Strömung steht und zuviel Wasserwiderstand bieten würde. Außerdem könnte so über die Sitzluke unnötig viel Wasser ins Boot laufen.

Das erste Mal im Boot
Nach dem die Kanueinsteiger die Kraft des Wassers am eigenen Körper gespürt haben und auch mit dem Bergen des Materials vertraut sind, sitzen sie nun zum ersten Mal im Boot. Hierzu bietet sich ein ruhigerer Abschnitt des Übungsgeländes an.
Das erste Erlebnis im Boot soll nicht lange vorhalten, der Kanute soll gezielt kentern. Viele Anfänger befürchten, nach einer Kenterung nicht aus dem Boot zu kommen. Dass es zu den anspruchsvolleren Fähigkeiten gehört, im gekenterten Boot sitzen zu bleiben, kann man den Anfängern beweisen, indem man sie ohne Spritzdecke kentern lässt. Die meisten werden aus dem Boot herausfallen, ohne nasse Haare bekommen zu haben. Eine unabdingbare Erfahrung für den Anfänger ist es, das Boot aus der geschlossenen Spritzdecke nach einer Kenterung wieder verlassen zu können. Fehlt diese Erfahrung, werden viele Anfänger die Angst vor der ersten Kenterung mit sich herumtragen und alle folgenden Aufgaben recht gehemmt angehen.

Lernen, einen Fluss zu lesen
Das richtige Lesen eines Flusses gehört zu den wichtigsten Inhalten eines Wildwasserunterrichts. Das Wissen, welchen Weg man wählt und welchen man besser vermeidet, ist die Grundlage jeglicher Handlungsfähigkeit im Wildwasser. Hierzu gehört sowohl das Besichtigen von Land als auch vom Wasser aus. Die Lernenden sollen erfahren, dass Aussteigen und Ansehen wichtige Bestandteile des Wildwasserfahrens sind.

Sichern, Retten und Bergen von Anfang an
Das Sichern, Retten und Bergen sollte möglichst früh in den Unterricht eingebaut und ständig wieder neu thematisiert werden.
Der Ort, an dem Sicherungs-, Rettungs- und Bergungsübungen demonstriert und ausprobiert werden, muss sorgfältig ausgewählt werden: Die Strecke sollte eine stärkere Strömung haben, am Ufer Kehrwasser, und sie sollte so tief sein, dass man darin schwimmen kann. Wichtig ist, dass sie in einen ruhigen Teil übergeht. Eine kleine Walze macht das Üben interessanter.

Die Auswahl von Tagesetappen
Eine Anfängergruppe im Wildwasser steht während des gesamten Unterrichts unter großer psychischer und physischer Anspannung. Diese Belastungen werden über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten, ohne daß die Anfänger ihre Beanspruchung aktuell wahrnehmen, im Gegensatz z.B. zum Joggen. Sie merken erst abends, wie „kaputt“ sie eigentlich sind. Diese Belastungen führen natürlich im Verlauf des Wildwasserunterrichts zu einer Abnahme der Aufmerksamkeit und der Aufnahmebereitschaft, auf die der Lehrende Rücksicht nehmen muß.

Wegen des sinkenden Aufnahmevermögens sollte der Unterricht mit Pausen an Land aufgelockert werden. Hier bieten sich Laufspiele, um die Beine dynamisch zu belasten, und Dehnübungen für die beanspruchte Muskulatur an.
Es empfiehlt sich generell, nach einem intensiven Unterrichtsprogramm am Vormittag nachmittags die Belastungsintensität durch bekannte und/oder leichte Streckenabschnitte oder durch lockeres Abfahren eher niedrig zu halten.
Aufschlussreich für eine Anfängergruppe ist es, gegen Ende eines mehrtägigen Kurses den Abschnitt nochmals zu fahren, den die damaligen Anfänger am ersten Tag bewältigt haben. So haben die Wildwasserfahrer einen direkten Streckenvergleich und können ihren Lernerfolg selbst gut einschätzen.

Resümée:
Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die bereit sind, sich auf solche nicht alltäglichen Angebote einzulassen, werden besonders intensive Erlebnisse auf dem Wasser und beim abendlichen Rahmenprogramm mit den Schülern provozieren.
Ausgleichssport und vor allem Wanderungen in der Umgebung gehören zum ganzheitlichen Erlebnis eines eindrucksvollen Wildwasserkurses.

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Heft 1/2013


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